Bonn. . NRW-Familienminister Joachim Stamp will mehr Angebote der Kinderbetreuung über Nacht. Angedacht ist zum Beispiel eine Nachtwache in der Familie.

Gerade fünf Minuten braucht die MS Rheinnixe für ihre Fahrt vom Bonner Rathenauufer rüber nach Beuel. Für Joachim Stamp (47) ist die schnelle Flussfahrt dennoch ein Genuss. „Ich empfinde das jedesmal wie einen Kurzurlaub“, erzählt der Bonner, der in Düsseldorf das NRW-Familien- und Integrationsministerium leitet. Auf dem Schiff und neben der Anlegestelle sprach der FDP-Politiker mit Matthias Korfmann, Christopher Onkelbach und Anna Ernst über den Fall der Duisburger Schülerin Bivsi, die Abschiebung von Gefährdern und über seine Idee, Kinder von „Nachtpflegern“ betreuen zu lassen.

Die Rückkehr der 15-Jährigen Bivsi Rana nach Duisburg hat viele Menschen bewegt. Welche Lehren sollten wir aus dem Fall ziehen?

Joachim Stamp: Auch wenn Bivsi ein spezieller Einzelfall ist, brauchen wir Veränderungen im Einwanderungs- und Asylrecht. Gegen Asylbewerber, die straffällig werden, müssen wir mit Härte vorgehen und Gefährder entschlossen abschieben. Aber wir sollten großzügiger zu jenen sein, die sich voll integriert und eine Arbeit haben.

Was heißt das konkret?

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Wir müssen bisherige Kettenduldungen überdenken. Wer längere Zeit als Geduldeter seine Existenz selber sichert, niemandem zur Last fällt und nicht straffällig geworden ist, der soll die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen. Umgekehrt setzen wir jetzt im Ministerium eine Task Force ein, die dafür sorgen wird, dass Kriminelle und Gefährder schneller abgeschoben werden. Was ich täglich aus der Bevölkerung höre: Es gibt keine generellen Vorbehalte gegenüber Einwanderern, aber eine berechtigte Erwartung, dass sich Menschen an unsere Spielregeln halten.

In der Statistik der abgeschobenen Asylbewerber liegt NRW nicht weit vorne.

Es geht nicht darum, dass NRW auf Platz 1 der Abschiebetabelle steht, sondern dass wir Kriminelle und Gefährder loswerden. Zudem wollen wir alle Möglichkeiten des Landes ausschöpfen, um die Asylverfahren zu beschleunigen. Wer eine geringe Bleibeperspektive hat, soll das komplette Asylverfahren in den Landeseinrichtungen durchlaufen und bis zur Entscheidung nicht auf die Kommunen verteilt werden. Dann erfolgt die Abschiebung direkt aus der Landeseinrichtung. Zudem sollte das Land die Rückführungen insgesamt zentralisieren, um die Kommunen zu entlasten. Das ist allerdings sehr personalintensiv. Das können wir nur Stück für Stück realisieren.

Sie haben zuletzt Gesprächsstoff geliefert mit Ihrem Vorschlag, 24-Stunden-Kitas einzuführen. Haben Sie weitere kreative Ideen zur Kinderbetreuung?

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Keine Angst, 24-Stunden-Kita bedeutet nicht, dass Kinder dort Tag und Nacht bleiben, sondern nur stundenweise. Und es geht auch nur um ein Pilotprojekt. Es gibt auch eine Alternative. Ich nenne es mal „Nachtpflege“, angelehnt an den Begriff „Tagespflege“. Es wäre doch hilfreich gerade für viele Alleinerziehende im Schichtdienst, wenn Nachtpflege-Personal in die Familien kommt und dort quasi die Nachtwache übernimmt. Es gibt erste Erfolge mit einem Projekt in der Stadt Essen, wo Alleinerziehende so wieder arbeiten können und aus Hartz-IV herausgeholt werden. Ich denke auch über andere Modelle nach, bei denen – ähnlich zur Tagespflege – drei, vier, fünf Kinder bei einem Nachtpfleger übernachten. Beim Einschlafen und Aufwachen sind Mama oder Papa dabei. Denn Geborgenheit ist wichtig.

Besonders in Duisburg und Dortmund gibt es seit Jahren eine starke Armutszuwanderung aus Südosteuropa. Kann das Land diese Städte unterstützen und dazu beitragen, die Zugewanderten zu integrieren?

Es ist notwendig mit den Behörden in Bulgarien und Rumänien besser zusammenzuarbeiten. Wir könnten zusammen den Austausch von Polizisten und Sozialarbeitern organisieren. Ein Teil der Probleme bezieht sich auf die Minderheit der Roma. Für Roma, die innerhalb der EU die größte Minderheit sind, gibt es in Bulgarien überhaupt keine Akzeptanz. Sie werden als Menschen fünfter Klasse behandelt. Die Beschulung der Kinder ist dort nicht gesichert. Bulgarien muss begreifen: Wenn man diese Bildungslosigkeit weiterlaufen lässt, wird das Problem immer größer. Es ist extrem ärgerlich, wenn wir feststellen müssen, dass entsprechende Fördergelder aus dem Europäischen Sozialfonds von Rumänien und Bulgarien gar nicht abgerufen werden. Deswegen sollten diese Mittel Städten wie Dortmund und Duisburg zur Verfügung gestellt werden. Wir hatten das schon der alten Landesregierung vorgeschlagen, da ist es versandet. Nun könnten wir einen neuen Aufschlag machen.

Über die Rolle des von der Türkei abhängigen Moscheeverbandes Ditib wurde zuletzt viel diskutiert. Wie wollen Sie in Zukunft die Kooperation mit den Moschee-Verbänden handhaben?

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Wir loten in Gesprächen aus, wer zu Reformen bereit ist und wer nicht. Unser Ziel ist es, mit den Reformern innerhalb der Ditib einen Weg zu finden, um eine Lösung von der türkischen Religionsbehörde Diyanet zu ermöglichen. Zudem muss die Ausbildung der Imame in Deutschland sichergestellt werden. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Ditib macht vor Ort oft sehr gute Arbeit und hat lange viel dazu beigetragen hat, dass sich muslimische Jugendliche nicht radikalisiert haben. Allerdings gibt es eine ungute Entwicklung nicht nur von Ditib. Wir werden nicht hinnehmen, dass Erdogan versucht, über Ditib und Milli Görüs bei uns Politik zu machen. Das ist völlig inakzeptabel.

Im Koalitionsvertrag steht, das Jugendschutzgesetz müsse im 21. Jahrhundert ankommen. Was ist damit gemeint?

Dass 16-Jährige am Wochenende auch nach 22 Uhr tanzen gehen können. Da muss man bestimmte Gesetze mal der Realität anpassen. In der Praxis läuft das sowieso so.